Drei Kinder. Ein Schiff. Ein tragisches Ereignis.

 

1965. Kapitän Bremel befährt zusammen mit seiner Familie den Rhein.
Hanne, Markus und Ben wachsen auf dem Küstenmotorschiff auf und sind voller Träume – bis ein dramatischer Unfall ihr Leben vom Kurs abkommen lässt. Bei dem Versuch, mit der Tragödie fertig zu werden, droht ein jeder daran zu zerbrechen.
Als Jahre später ein Mord geschieht, ahnt Hanne nicht, dass sie sich den Ereignissen ihrer Kindheit stellen muss.

 

 

Die bewegende Geschichte einer Familie vom Niederrhein, deren Schicksal eng mit dem mächtigen Wasserlauf verflochten ist.

 

Leseprobe:

»Wenn ich groß bin, werde ich Kapitän«, verkündete Markus, zog seine Hände von der Schleusenwand und wischte sie an seiner Hose ab. »Dann gehe ich auf große Fahrt und schick euch eine Postkarte aus Feuerland.« Ben lachte. Der Augenarzt hatte einen Schielfehler bei ihm festgestellt und empfohlen, das schwache Auge zu fordern. Mit der Augenklappe über dem gesunden Auge sah er aus wie ein kleiner Pirat.

»Feuerland … so was gibt es doch gar nicht.«

»Wohl gibt es das«, konterte Markus und strich sich mit den noch nicht ganz sauberen Händen durch das blonde Haar. »Ignacio hat es mir erzählt, und der hat schon die ganze Welt gesehen.«

Wir blickten alle nach vorn zum Bug, wo der Matrose mit den grauen Koteletten bereits den ganzen Morgen die Taue ölte. Wir hatten mächtig Respekt vor ihm, und wenn Ignacio sagte, dass es einen Ort namens Feuerland gab, dann stimmte das.

»Na gut, dann werde ich auch Kapitän«, meinte Ben. »Dann können wir zusammen nach Feuerland fahren.«

»Träum weiter«, sagte Markus lachend. »Auf meinem Schiff gibt es nur einen Kapitän. Fahr du mal schön woanders hin.«

Ben zog eine Schnute, sagte aber nichts.

»Du kannst ja auf der Elbe schippern«, lenkte Markus ein. »Dann kannst du immer in Glücksstadt anlegen.«

Ben sagte immer noch nichts, aber man sah ihm an, dass Glücksstadt für ihn ebenso aufregend klang wie Feuerland.

»Ich werde Lotsin«, verkündete ich. Eigentlich war es mir spontan eingefallen, aber je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir die Idee. Markus war schon neun Jahre alt und ging seit zwei Jahren zur Schule. Ich war letzten Herbst eingeschult worden. Deshalb konnten wir nur noch in den Ferien mit aufs Schiff. Das Leben an Land gefiel uns auch ganz gut, aber es war nichts, gar nichts gegen das Leben an Bord. Lotsen hatten es gut. Die konnten beides haben. Nachts schliefen sie in ihren Häusern und tagsüber wurden sie zu den Schiffen gefahren, um sie zum Beispiel durch das Binger Loch oder um die Loreley zu führen. Lotsen waren wichtige Leute, das merkte ich an der Art, wie mein Vater sie begrüßte. Und sie wurden auch gut bezahlt. Bevor sie gingen, füllten sie immer einen Beleg auf ihrem Block aus und dann bezahlte mein Vater sie aus der Schiffskasse. Zwölf DM waren es beim letzten Mal gewesen.

»Frauen können nicht Lotse werden«, widersprach Markus. »Oder hast du etwa schon mal eine gesehen? Das ist was für alte Männer in dunklen Klamotten.«