Auszug aus:

 

Klaras Berge

 

Samstag

 

Als die Krauses mich darum baten, fand ich es unmöglich. Mehr noch, ich war beleidigt. Sie erwischten mich im Hausflur, als ich gerade aus der Galerie zurückkehrte,  unter dem Arm zwei der drei Werke, die ich bei Schröder abgegeben hatte und die angeblich keiner hatte haben wollen. Er hatte nur bedauernd mit den Schultern gezuckt in seinem Sakko, das mal wieder drei Nummern zu groß war.

 

‚In meinen Jacken brauche ich Platz’, sagte er immer.

 

 „Wenigstens eines der Bilder konnte ich verkaufen“, hatte Schröder mich getröstet und mir ein wenig Bargeld zugeschoben. Aber mein Selbstbewusstsein klemmte zwischen diesen in braunem Packpapier eingewickelten Leinwänden und versteckte sich vor der Welt..

 

Und dann kam dieser Vorschlag.

 

 „Zeichenunterricht?“

 

Sah man mir die zweite Liga so deutlich an? Gedemütigt stand ich vor Herrn Krause, der mir umständlich erklärte, dass sie in der nächsten Woche  jemanden für Klara bräuchten. Täglich von vier bis sechs Uhr. Seit sie diese Medikamente bekomme, dürfe sie nicht allein bleiben.

 

„Der Kreislauf, Sie verstehen?“

 

Oh ja, ich verstand sehr gut. Babysitter für eine Dreizehnjährige  sollte ich spielen, daher wehte der Wind.

 

„Meine Mutter kann leider nur bis vier “, schob sich  Frau Krauses Stimme am Rücken ihres Mannes vorbei. Mein Gott, hatte diese Frau eine Jammerstimme. Wie konnte ein  simples Wort wie ‚kann’ so leidvoll betont werden? Was dachten die beiden sich eigentlich?  Sollte ich jetzt etwa täglich zwei Stunden “können“? Mich um dieses schlaksige Etwas kümmern, das ich immer nur die Treppe hinauf- oder hinabstaken sah und mit dem ich noch nie ein Wort gewechselt hatte? Das genau über meinem Schlafzimmer residierte und mit Absicht Musik liebte, die mir auf die Nerven ging?

 

„Klara zeichnet doch so gern. Und da dachten wir ... es wäre ja nur für eine Woche ...“

 

„Selbstverständlich würden wir Sie bezahlen“, unterbrach Herr Krause seine Frau.

 

Das war das Stichwort, das mich meine Empörung relativieren ließ. 

 

„Also gut, von mir aus“, murrte ich. „Versuchen wir es. Aber unterrichten kann ich nicht. Ich kann ihr höchstens zeigen, wie ich es mache und sie auf ihre Fehler hinweisen.“ Die beiden nickten begeistert.

 

 „Und Donnerstag muss sie eine Stunde früher gehen, da hab’ ich keine Zeit“, fügte ich noch hinzu.  

 

Donnerstags war mein  Sonntag. Donnerstags kam Max.

 

 

 

Montag

 

Sie war noch dünner, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte. Pünktlich um vier Uhr klingelte es und eine betont muntere Oma schob zwei magere Schultern durch meine Tür.

 

„So, hier ist unser Goldspatz“, strahlte sie, streichelte dem Vögelchen über den braunen Stoppelflaum, nickte mir zu, aufmunternd, wie mir schien,  und stapfte die Treppe hinunter.

 

Der Goldspatz warf  ihr aus dunklen Augen einen düsteren Blick nach, dann einen ebensolchen mir zu.

 

Ich fing ihn auf und holte erst einmal tief Luft.

 

Vorsichtshalber verschränkte ich die Arme und überlegte krampfhaft, wie ich einen einigermaßen sinnvollen Anfang finden sollte. Aber was sagt man schon einer fast glatzköpfigen Dreizehnjährigen in Jeans und bauchfreiem T-Shirt? Ein origineller Einstieg wäre gut.

 

„Du zeichnest also gern?“

 

Sie zuckte mit den Schultern.

 

„Ich weiß nicht. Manchmal.“

 

„Und die anderen manchmal? Was machst du da gern?“

 

Wieder ein Zucken.  „Dies und das.“

 

Das fing ja gut an.

 

Wer es macht wie alle, kann nichts falsch machen, dachte ich, legte ihr also großmütterlich die Hände auf die Schultern und schob sie ins Studio, das in den anderen Wohnungen dieses Hauses Wohnzimmer hieß. Es war das Zimmer mit dem besten Licht, deshalb hatte ich meine Staffelei hier aufgebaut. Sie sah sich neugierig um, betrachtete vor allem meine Bilder an den Wänden.

 

Vor dem Bild von Max blieb sie stehen.

 

„Haben Sie das gemalt?“

 

„Ja. Gefällt es dir?“ Im selben Moment biss ich mir auf die Zunge. Zu spät.

 

„Na ja“, meinte Klara gnädig.

 

Ich wies auf den kleinen Tisch unter dem Fenster.

 

 „Ich hab’ dir Papier und Stifte zurecht gelegt. Vielleicht zeigst du mir erst einmal, wie du so arbeitest.“

 

Sie blieb unschlüssig stehen. 

 

„Was soll ich denn malen?“

 

Ich zuckte mit den Schultern. Anscheinend war das ansteckend.  „Was immer du willst.“

 

„Mir fällt aber nichts ein.“

 

Ich verdrehte die Augen. „Du könntest etwas abzeichnen.“  Ich sah mich um. „Die Vase da zum Beispiel.“  Ich beäugte das Erbstück, das in der Ecke stand.  „Nein. Vergiss die Vase.“  

 

Ratlos wandte ich mich  ihr wieder zu.  „Mal mir doch dein Lieblingstier? Hast du kein Lieblingstier? Irgendetwas halt, was dir einfällt.“

 

Sie sah mich erstaunt an. „Einfach irgendetwas?“
“Aber sicher“, sagte ich. „Es ist doch völlig egal, was du malst. Ich will ja nur sehen, was  du kannst.“

 

Sie setzte sich zögernd vor das Blatt und schüttelte den Kopf. „Wie kann es egal sein,  was man malt?“, murmelte sie, griff aber doch nach einem Stift.

 

Ich seufzte. Meine Arbeit rief nach mir, mein Bankkonto rief nach der Arbeit und dieser Fratz schien sich entschieden zu haben, jeden einzelnen Satz zwischen uns zu einem Problem zu machen.

 

„Mal einen Traum!“, fiel mir spontan ein.

 

Sie blickte erstaunt hoch, einen Moment schienen die Augen in die Ferne zu blicken, dann nickte sie. „Ja, das geht. Ich hatte einen schönen Traum von einer ganz weichen, grünen Wiese.“

 

„Na also“, brummte ich. „Dann mal ran an den Speck!“

 

Ich wandte mich meiner Staffelei zu. „Du arbeitest da, ich hier – und zwar leise - und nachher sehe ich mir an, was du geschafft hast.“

 

Es war still im Zimmer, nur hin und wieder hörte ich das Kratzen des Stiftes auf dem Papier.

 

Ich war froh, dass das Kind sich an meine Anordnung hielt.  Für eine Plapperliese hätte ich zur Zeit keine Nerven gehabt. Meine Gedanken wanderten zu Schröder. Wieder einmal. Zu seinen Worten. ‚Rauslassen, pah!’ schimpfte ich innerlich und zog einen energischen Strich.  Wenn der wüsste. Mit Herzblut waren diese Bilder getränkt,  mein Innerstes im Außen wurde hier auf Leinwand festgemalt. Die jämmerlich verzogene Linie, die diesem letzten Gedanken folgte, ärgerte mich. Pah! Ich zog all die energischen Striche, die es brauchte, mich zu beruhigen. ‚Wenn das kein Rauslassen ist, was dann?’, fragte ich mich und konnte endlich gewohnt weiterarbeiten.

 

Ich war dankbar für die Jahreszeit, die mir noch genug Licht spendete, um meine Skizzen auf Leinwand zu übertragen. Mit Farben mochte ich um diese Uhrzeit nicht mehr arbeiten.  Das Licht verfälschte sie und ich vertat mich dann leicht im Ton.

 

Die Zeit verging, ohne dass sie laut wurde.

 

Wir wussten umeinander. Mehr nicht.

 

Nur einmal blickte Klara auf und fragte:

 

„Malen Sie auch einen Traum?“

 

„Nein“, knurrte ich - in Gedanken sofort wieder bei Schröder. „Für Träume besteht zur Zeit keine Nachfrage. Ich arbeite am letzten Bild meiner Reihe: Menschen in der Stadt. Mein Galerist meinte, wenn sie gut werden, stellt er sie aus.“

 

Genau genommen hatte Schröder gesagt, wenn sie endlich mal besser sind als der übliche Mist. Nein, natürlich hatte er auch das nicht gesagt. Aber bestimmt gemeint. Ganz genau genommen hatte er mich sehr freundlich, oder war es mitleidig?, angelächelt und gesagt: ‚Sie können es besser als das hier, daran glaube ich ganz fest.’ Pah!

 

Es war kurz vor sechs Uhr, als ich aufstand und auf die Uhr sah. Klara saß tief gebeugt über dem Papier und schien völlig in ihrer Arbeit versunken.

 

 „Du kannst gleich hoch zu deinen Eltern“, meinte ich. „Sie kommen jeden Moment von der Arbeit.“

 

„Ja, ich bin fast  fertig“, murmelte sie und drückte den Stift fest auf das Blatt.

 

„Du solltest die Hand lockerer halten“, meinte ich und ging zu ihr hinüber. „Sonst bekommst du nur einen Krampf.“

 

„Auf manche Stellen muss man aber drücken.“ Klar, eine andere Antwort hatte ich von ihr nicht erwartet.

 

Sie warf den Stift auf den Tisch und lehnte sich zurück. 

 

„Ich bin sowieso fertig“, sagte sie und hob mir das Blatt entgegen. Ich nahm es und besah erstaunt das Bild. Dann schaute  ich Klara fragend an.

 

„Ich dachte, du wolltest eine Wiese malen?“

 

„Hab’ ich doch“, war die knappe Antwort.

 

Sie stand auf.

 

„Ich geh dann jetzt.“

 

Ohne ein weiteres Wort marschierte sie an mir vorbei und zur Tür hinaus. Verwundert horchte ich ihr nach, dann fiel mein Blick wieder auf die Bleistiftzeichnung in meinen Händen. Zwischen steilen Wänden, die wohl eine Schlucht andeuten sollten, prangte ein großer, schwarzer Berg. Klaras Zeichnung war recht gut, natürlich gab es Schwächen in Perspektive und Schattenspiel, aber insgesamt nicht schlecht für eine Dreizehnjährige. Der Berg lief oben spitz zu und an der Seite, recht weit unten, hatte Klara eine winzige, kreisrunde Öffnung im Schwarz gelassen. Es sah aus, als hätte dort jemand ein  Loch in den Fels gebohrt.  Und obwohl das Licht jetzt schlechter wurde, konnte ich durch dieses Loch einen Hauch von Grün erkennen.

 

 

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